Kündigung des Vertragshändlervertrages in der Insolvenz
Kündigt der Unternehmer den Vertragshändlervertrag, weil der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die nach der Eröffnung erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen insolvenzrechtlich unwirksam.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat der Unternehmer die Aufrechnungslage durch die fristlose Kündigung des Vertragshändlervertrages herbeigeführt. Er wusste dabei von dem eine Woche zuvor gestellten Insolvenzantrag. Die Kündigung stellte eine Rechtshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO dar. Unter einer Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff InsO ist jedes von einem Willen getragene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann1. Darauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruht oder – wie hier – kraft Gesetzes eintritt (§ 89b HGB in entsprechender Anwendung)2, kommt es nicht an. Die Kündigung hatte eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, weil sie zu der Möglichkeit der Aufrechnung führte, welche den Ausgleichsanspruch der Gesamtheit der Gläubiger entzog.
Eine Gläubigerbenachteiligung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Ausgleichsanspruch, gegen den der Unternehmer aufgerechnet hat, erst durch die angefochtene Rechtshandlung – die Kündigung – entstanden und fällig geworden ist3. Dass die Rechtshandlung, welche die Aufrechnungslage herbeiführt, der Masse auch Vorteile verschafft, steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Eine Saldierung der Vor- und Nachteile findet im Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht statt; eine Vorteilsausgleichung nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen ist im Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich nicht zulässig. Vielmehr ist der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung isoliert in Bezug auf die konkret bewirkte Minderung des Aktivvermögens oder der Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen4.
Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch das Grundgeschäft (hier: die Kündigung). Nach § 143 Abs. 1 InsO ist (nur) dasjenige zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, also der eingetretene Erfolg als solcher. Besteht die objektive Gläubigerbenachteiligung nur in einer einzelnen, abtrennbaren Wirkung einer einheitlichen Rechtshandlung, darf deren Rückgewähr nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe. Einen Rechtsgrundsatz, dass mehrere Wirkungen einer Rechtshandlung nur ganz oder gar nicht anfechtbar seien, gibt es im Insolvenzrecht nicht5.
Nicht zu überzeugen vermag den Bundesgerichtshof auch der Einwand, dass der Ausgleichsanspruch gemäß oder entsprechend § 89b HGB schon bei Abschluss des Händlervertrages in seinem Kern angelegt sei, so dass gemäß §§ 94, 95 InsO mit Insolvenzforderungen gegen ihn aufgerechnet werden könne, ohne dass § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO eingreife.
Im vorliegenden Fall geht es um einen vor der Eröffnung entstandenen und fällig gewordenen Ausgleichsanspruch. Bei ihm ist die sonst nach § 94 InsO mögliche Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam.
Der behauptete Wertungswiderspruch zu § 95 InsO besteht nicht, weil die Beklagte auch dann nicht mit ihren Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen könnte, wenn sie den Vertragshändlervertrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt hätte. Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 InsO, nach welcher ein Insolvenzgläubiger auch mit einer im Zeitpunkt der Eröffnung aufschiebend bedingten oder noch nicht fälligen Forderung aufrechnen kann, sobald die Aufrechnungsvoraussetzungen eingetreten sind, erfasst zwar auch Fälle, in denen eine gesetzliche Voraussetzung für das Entstehen der Forderung fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung in ihrem rechtlichen Kern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist und fällig wird, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung bedarf6. Diese Voraussetzungen sind in der Insolvenz des Handelsvertreters oder Vertragshändlers nicht erfüllt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO besteht der Handelsvertreter- oder Vertragshändlervertrag mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort7. Auch nach der Eröffnung hätte der Vertrag folglich gekündigt werden müssen, damit der Ausgleichsanspruch entsteht und fällig wird. Die Voraussetzungen des § 95 InsO wären auch in dieser Fallgestaltung nicht erfüllt gewesen.
Soweit der Bundesgerichtshof im Beschluss vom 25.09.20088 die Kündigung eines Vertragshändlervertrages nicht für insolvenzrechtlich anfechtbar gehalten hat, hält er an dieser Ansicht nicht mehr fest.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. Mai 2013 – IX ZR 191/12
- BGH, Urteil vom 12.02.2004 – IX ZR 98/03, WM 2004, 666, 667; vom 14.12.2006 – IX ZR 102/03, BGHZ 170, 196 Rn. 10; vom 09.07.2009 – IX ZR 86/08, NZI 2009, 644 Rn. 21 [↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 06.10.2010 – VIII ZR 209/07, ZIP 2010, 2350 Rn. 24 [↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 06.08.1997 – VIII ZR 92/96, ZIP 1997, 1839, 1844 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.07.2009 – IX ZR 86/08, NZI 2009, 644 Rn. 26 f; vom 26.04.2012 – IX ZR 146/11, ZIP 2012, 1183 Rn. 30 ff [↩]
- BGH, Urteil vom 05.04.2001 – IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233, 236; vom 09.07.2009, aaO Rn. 32; vom 11.03.2010 – IX ZR 104/09, NZI 2010, 414 Rn. 10 [↩]
- BGH, Urteil vom 29.06.2004 – IX ZR 147/03, BGHZ 160, 1, 4; vom 08.01.2009 – IX ZR 217/07, ZIP 2009, 380 Rn. 32; MünchKomm-InsO/Brandes, 2. Aufl., § 95 Rn. 10; HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 95 Rn. 15; anders noch BGH, Urteil vom 27.05.2003 – IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 93 f zu § 15 KO: es sei unerheblich, dass ein Rückzahlungsanspruch erst nach Ausübung des Rücktrittsrechts entstehe [↩]
- OLG Düsseldorf NZI 2010, 105 f; MünchKomm-HGB/von HoyningenHuene, 3. Aufl., § 89b Rn. 40; Emde/Kelm, ZVI 2004, 382; Stumpf/Ströbl, MDR 2004, 1209, 1211; Wagner/WexlerUhlich, BB 2010, 2454, 2455; dies., BB 2011, 519, 520; vgl. zum umgekehrten Fall der Insolvenz des Geschäftsherrn, die gem. §§ 116, 115 InsO, früher § 23 KO, zum Erlöschen des Auftragsverhältnisses führt, BGH, Urteil vom 10.12.2002 – X ZR 193/99, ZIP 2003, 216, 217 [↩]
- BGH, Beschluss vom 25.09.2008 – IX ZR 223/05, nv, Rn. 2 [↩]