Nachvertragliche Wettbewerbsverbote für Handelsvertreter
§ 90a HGB findet auf Wettbewerbsabreden Anwendung, die nach der formellen Beendigung des Handelsvertretervertrags vereinbart werden, wenn sich die Parteien über wesentliche Elemente der Wettbewerbsabrede schon während der Laufzeit des Handelsvertretervertrages geeinigt haben1. Sieht das Wettbewerbsverbot eine Überschreitung der in § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB genannten zeitlichen, örtlichen und/oder gegenständlichen Grenzen vor, so ist es nicht insgesamt unwirksam, sondern nur im Umfang der Überschreitung.
Wettbewerbsabrede als Allgemeine Geschäftsbedingung?
Die Wirksamkeit der Wettbewerbsabrede beurteilt sich im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht nach § 307 Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, weil es sich bei der Abrede zwischen den Parteien nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, da sie im Einzelnen ausgehandelt worden ist, § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB.
Das Aushandeln einer Vertragsbedingung erfordert zwar mehr als bloßes Verhandeln. Der Verwender muss vielmehr den gesetzesfremden Kerngehalt der Klausel – also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen – ernsthaft zur Disposition stellen und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen beeinflussen zu können2. Es ist dabei nicht notwendig, dass der Verwender eine Klausel „von Grund auf“ zur Disposition stellt; ausreichend ist, dass der andere Teil auf die Modalitäten des gesetzesfremden Kerns Einfluss nehmen kann3. Das Aushandeln setzt auch nicht voraus, dass eine vorformulierte Klausel tatsächlich abgeändert wird. Bei unverändertem Text kann ein Aushandeln vorliegen, wenn sich der andere Teil nach gründlicher Erörterung mit der Regelung einverstanden erklärt hat4. Wird ein Klauselwerk an mehreren zentralen Punkten abgeändert, kann dies dafür sprechen, dass die Parteien alle sachlich damit zusammenhängenden Bedingungen in ihren Gestaltungswillen aufgenommen und damit das ganze Klauselwerk ausgehandelt haben5.
Hiervon ausgehend war im vorliegenden Fall ein Aushandeln der Wettbewerbsabrede anzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass die Geschäftsherrin, eine Versicherungsgesellschaft, auf einem Wettbewerbsverbot überhaupt bestanden hat. Denn § 90a HGB geht grundsätzlich von der Zulässigkeit nachvertraglicher Wettbewerbsverbote aus. AGB-rechtlich relevant kann nur die Ausgestaltung eines Wettbewerbsverbots im Einzelfall sein. Entscheidend ist daher, ob die Handelsvertreterin auf die konkrete Ausgestaltung Einfluss nehmen konnte. Das war nach den Feststellungen der Fall. Danach tauschten sich die Parteien mehrfach über den Inhalt des anvisierten Wettbewerbsverbots aus, unterbreiteten sich wechselseitig entsprechende Entwürfe und nahmen zu den Entwürfen der Gegenseite Stellung. Hierbei konnte die Handelsvertreterin gegenüber der Vorlage der Versicherungsgesellschaftn wesentliche Änderungen durchsetzen. So wurde die Laufzeit des Wettbewerbsverbots für das Ausland auf zwei Jahre verkürzt. Bestimmte Tätigkeiten, wie etwa die Vermittlung von Immobilienfinanzierungen oder bestimmte Beratungsleistungen wurden von dem Verbot ausgenommen.
Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Handelsvertreterin darin, dass die Dauer des Wettbewerbsverbots für das Inland nicht ausgehandelt worden sei. Die Handelsvertreterin hatte sich zunächst zur Dauer des Wettbewerbsverbots nicht geäußert, woraufhin die Versicherungsgesellschaft ein dreijähriges Verbot einheitlich für das In- und Ausland vorschlug. Daraufhin bot die Handelsvertreterin an, die Verbotsdauer für das Inland bei drei Jahren zu belassen, sie für das Ausland jedoch auf zwei Jahre abzukürzen. Dies wurde vereinbart.
Unzutreffend ist auch der weitere Angriff, jedenfalls die Abgeltung der Karenzentschädigung nach § 90a Abs. 1 Satz 3 HGB durch die Abfindung nach dem „Geschäftswertmodell“ sei nicht ausgehandelt. Hierzu wurde im Ausgangspunkt festgestellt, dass es sich bei dem „Geschäftswertmodell“ um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Versicherungsgesellschaftn handelt. Garantiert ist der Handelsvertreterin dort unter anderem der Ausgleich in Höhe eines durchschnittlichen Jahreseinkommens. Darauf ist der Anspruch des Vertreters gemäß § 89b HGB anzurechnen. Die in diesen Bedingungen geregelten Ausgleichszahlungen sind von dem Abschluss eines Wettbewerbsverbots durch den Versicherungsvertreter abhängig. Sowohl schon bei der Vereinbarung des „Geschäftswertmodells“ mit G., dem Rechtsvorgänger der Handelsvertreterin, als auch im Zusammenhang mit der Vereinbarung des Wettbewerbsverbots mit der Handelsvertreterin sind Teile dieser Regelung von der Versicherungsgesellschaftn ernsthaft zur Disposition gestellt und sogar geändert worden. Mit der Vereinbarung des „Geschäftswertmodells“ ist G. ausdrücklich abweichend von Ziffer 2 der Bedingungen zum „Geschäftswertmodell“ als garantierte Einmalzahlung ein Betrag, der dem 1,8fachen des durchschnittlichen Jahreseinkommens entspricht, zugesagt worden. In ihrem ersten Entwurf der Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots vom 04.01.2006 setzte die Versicherungsgesellschaft das „Geschäftswertmodell“ voraus und sah die Abgeltung der Karenzentschädigung durch die Abfindung nach dem Modell vor. Darauf schlug die Handelsvertreterin eine Einmalzahlung in Höhe des 1,8fachen Jahreseinkommens vor, die sie mit 745.259,09 € bezifferte. Von Detailregelungen zu weiteren Punkten abgesehen, sollten den Parteien keine weiteren wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertretervertrag zustehen. Nachdem die Versicherungsgesellschaft einen weiteren Entwurf übersandt hatte, unterbreitete die Handelsvertreterin am 21.03.2006 einen Gegenvorschlag. Dort bezifferte sie das 1,8fache Jahreseinkommen mit 736.402,90 €. Die wechselseitigen Ansprüche einschließlich eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB sollten damit abgegolten sein. Darauf legte die Versicherungsgesellschaft der Handelsvertreterin zwei Schriftstücke vor. In dem einen war unter anderem geregelt, dass der Handelsvertreterin entsprechend den Bedingungen zum „Geschäftswertmodell“ 736.402,90 € garantiert würden. Damit seien alle wechselseitigen Ansprüche, einschließlich eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB abgegolten. Das zweite Schriftstück enthielt die Regelung des Wettbewerbsverbots nebst der Formulierung, dass mit der Abfindung nach dem „Geschäftswertmodell“ auch der Ausgleich für das Wettbewerbsverbot abgegolten werde. Beide Parteien unterzeichneten die Schriftstücke am 27.03.2006. Aus alldem ergibt sich, dass die die ursprüngliche Garantiesumme des „Geschäftswertmodells“ übersteigende Ausgleichszahlung individuell mit G. ausgehandelt war. Von der Handelsvertreterin stammt auch der Vorschlag, mit der Ausgleichszahlung nicht nur die Karenzentschädigung, sondern auch den im „Geschäftswertmodell“ nur anzurechnenden Ausgleich nach § 89b HGB abzugelten sowie andererseits eine umfassende Abgeltung auch der Ansprüche der Versicherungsgesellschaftn zu vereinbaren. Damit ist die Höhe des Ausgleichs für das Wettbewerbsverbot insgesamt zwischen den Parteien ausgehandelt worden.
Teilunwirksamkeit der Wettbewerbsabrede
Die Wettbewerbsabrede ist teilweise, nämlich in den durch § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB – der auf den Fall Anwendung findet – vorgegebenen Grenzen wirksam. Im Übrigen ist sie unwirksam. Soweit sie wirksam ist, war der ursprüngliche Feststellungsantrag unbegründet und ist auch der auf die Feststellung seiner Erledigung gerichtete Feststellungsantrag unbegründet.
§ 90a Abs. 1 Satz 2 HGB ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, als Maßstab für die Beurteilung der Wettbewerbsabrede heranzuziehen. Nach dieser Vorschrift kann eine Abrede, die den Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt, für längstens zwei Jahre von der Beendigung des Vertragsverhältnisses an getroffen werden. Sie darf sich nur auf den dem Handelsvertreter zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis und nur auf die Gegenstände erstrecken, hinsichtlich deren sich der Handelsvertreter um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften für den Unternehmer zu bemühen hat.
Die Handelsvertreterin ist ein Versicherungsvertreter. Allerdings finden gemäß § 92 Abs. 2 HGB auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherungsvertreter und dem Versicherer – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen, die hier nicht in Betracht kommen – die Vorschriften über das Vertragsverhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer Anwendung. Das gilt auch für die Anwendung des § 90a HGB6.
Das vereinbarte Wettbewerbsverbot ist eine Wettbewerbsabrede im Sinne des § 90a Abs. 1 Satz 1 HGB. Es beschränkte die Handelsvertreterin nach Beendigung des Versicherungsvertretervertragsverhältnisses in der Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit. Das Gesetz enthält keine Aussage dazu, wann diese Abrede getroffen worden sein muss. Dem Wortlaut lässt sich insbesondere keine Einschränkung dahin entnehmen, dass eine nach Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffene Wettbewerbsabrede nicht von der Regelung erfasst wäre.
Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift gebietet keine einschränkende Auslegung dahin, dass sie auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden wäre. Die Vorschrift dient dazu, den Handelsvertreter davor zu schützen, dass ihm der Unternehmer, von dem er wirtschaftlich abhängig ist, eine Wettbewerbsabrede aufzwingt7. Die Handelsvertreterin ist in diesem Sinne schutzwürdig.
Zwar wurde die Wettbewerbsabrede nach der formellen Beendigung des Handelsvertretervertrags getroffen. In seinem Urteil vom 05.12.1968 hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, die Abhängigkeit des Handelsvertreters vom Unternehmer höre mit der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses auf. Von diesem Augenblick an stünden sich die Vertragsparteien nicht mehr in ihrer Eigenschaft als Unternehmer und Handelsvertreter gegenüber. Deshalb fielen Wettbewerbsabreden, die erst nach Vertragsende getroffen würden, nicht mehr unter die Regelung des § 90a HGB, auch wenn sie im Zusammenhang mit dem früheren Handelsvertreterverhältnis stünden8. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Handelsvertreter im Einzelfall schutzwürdig sei, vielmehr liege der Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 90a HGB eine generalisierende Betrachtung zugrunde9.
Ein vergleichbarer Fall liegt hier jedoch nicht vor. Mit dem „Geschäftswertmodell“ ist ein wesentliches Element der späteren Wettbewerbsabrede bereits während der Laufzeit des Versicherungsvertretervertrags und damit in der Zeit, in der der Handelsvertreter typischerweise vom Unternehmer abhängig ist, vereinbart worden. Diese Vereinbarung eröffnete der Handelsvertreterin die Chance, nach Beendigung des Vertrages Ansprüche gegen die Versicherungsgesellschaft zu erwerben, die jedoch davon abhängig waren, dass sie sich noch einem Wettbewerbsverbot unterwarf. Die Vereinbarung des „Geschäftswertmodells“ machte damit für die Handelsvertreterin nur dann einen Sinn, wenn sie schon zu dem Zeitpunkt jedenfalls prinzipiell bereit war, die Wettbewerbsabrede zu treffen. Zwar blieb sie rechtlich frei darin, sich bei Beendigung des Vertrages einer solchen Tätigkeitsbeschränkung zu unterwerfen. Faktisch wurde sie hierdurch aber einem Druck unterworfen, dies zu tun, weil sie nur auf diese Weise die Ansprüche aus dem „Geschäftswertmodell“ realisieren konnte, die sie bereits während der Laufzeit des Vertretervertrages gesichert vor Augen hatte. In diese Situation ist sie bereits durch die Vereinbarung des „Geschäftswertmodells“ geraten, die zu einem Zeitpunkt geschah, in dem der Handelsvertreter eines besonderen Schutzes bedarf.
Überschreitet die Wettbewerbsabrede die durch § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB gezogenen Grenzen, so führt das nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Sie bleibt vielmehr in diesen Grenzen wirksam. Das gilt sowohl im Fall der Überschreitung der Höchstdauer des Wettbewerbsverbots nach Halbsatz 1 als auch bei Überschreitung seiner örtlichen und gegenständlichen Vorgaben nach Halbsatz 2 der Vorschrift. Das Berufungsgericht hat die Wettbewerbsabrede zutreffend in diese gesetzlichen Schranken zurückgeführt. Eine weitergehende Unwirksamkeit der Wettbewerbsabrede aus anderen Gründen hat es zu Recht verneint.
Nach einhelliger Meinung zu § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. – der frühere Satz 2 entspricht dem heutigen Satz 2 Halbsatz 1 – führt eine Überschreitung der gesetzlich zulässigen Dauer des Wettbewerbsverbots nicht insgesamt zu seiner Unwirksamkeit. Vielmehr tritt an die Stelle der unzulässig langen Frist die gesetzliche Höchstdauer von zwei Jahren10. Für die auf den Fall anzuwendende aktuelle Fassung der Vorschrift gilt nichts anderes11. Das stellt auch die Revision nicht in Frage.
Bei Überschreitung der in § 90a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HGB genannten örtlichen und gegenständlichen Grenzen eines Wettbewerbsverbots findet ebenfalls eine Reduktion auf den gesetzlich zulässigen Gehalt statt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Willen des Gesetzgebers. § 90a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HGB ist durch Gesetz vom 23.10.198912 eingeführt worden. In der Begründung des Gesetzesentwurfs13 heißt es dazu: „Die Bestimmung in § 90a Abs. 4, nach der abweichende, für den Handelsvertreter nachteilige Vereinbarungen nicht getroffen werden können, gilt auch für die neue Regelung des § 90a Abs. 1 Satz 2. Eine Abrede, welche die in § 90a Abs. 1 Satz 2 vorgeschriebenen Beschränkungen nicht beachtet, ist nicht nichtig; ihr Inhalt bestimmt sich vielmehr nach dem gesetzlichen Schutzumfang“. Das entspricht dem Verständnis der weit überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur14.
Auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Wettbewerbsverboten von aus Sozietäten ausgeschiedenen Freiberuflern ist keine andere Beurteilung geboten. Danach hängt in jenen Fällen die Wirksamkeit der Wettbewerbsabrede davon ab, dass sie in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreitet. Überschreitet die Abrede ausschließlich die zeitlichen Grenzen, ist sie im Übrigen aber unbedenklich, kommt eine geltungserhaltende Reduktion auf die erlaubte Dauer in Betracht. Die Missachtung der gegenständlichen und räumlichen Grenzen führt dagegen zur Nichtigkeit des Verbots gemäß § 138 BGB15. Diese Differenzierung wird damit begründet, dass bei einer nicht nur zeitlichen Überschreitung der zulässigen Grenzen das Gericht den übrigen Inhalt der Vereinbarung rechtsgestaltend festlegen müsste. Das überdehnt den dem Gericht eingeräumten Gestaltungsspielraum. Zudem widerspricht eine weitergehende geltungserhaltende Reduktion dem mit § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko der Nichtigkeit ihrer Vereinbarung zuzuweisen16.
Diese Erwägungen können auf die Beurteilung der Wettbewerbsabrede eines ausgeschiedenen Versicherungsvertreters nicht übertragen werden. Anders als in den von der Revision angeführten Fällen liegt mit § 90a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HGB eine gesetzliche Vorgabe für die Zulässigkeit von Wettbewerbsabreden in örtlicher und gegenständlicher Hinsicht vor. Dem Gericht wird daher nicht angesonnen, aus einer Vielzahl denkbarer Gestaltungsvarianten zu wählen. Vielmehr beschränkt sich das Gericht darauf, die Abrede auf das gesetzlich vorgegebene, zulässige Maß zurückzuführen. Auch das Argument der Zuweisung des Nichtigkeitsrisikos entfaltet keine Überzeugungskraft. Erschöpft sich der Rechtsverstoß in der Überschreitung der zeitlichen, örtlichen oder gegenständlichen Grenzen des Wettbewerbsverbots, wird ein gesetzmäßiger Zustand durch Anwendung des § 90a HGB hergestellt. Dieses vom Gesetzgeber gewünschte Ergebnis, das auch dem Parteiwillen Rechnung trägt, würde konterkariert, wäre das Wettbewerbsverbot bei einer Überschreitung der örtlichen oder gegenständlichen Grenzen im gleichen Umfang nichtig, wie das in den oben beschriebenen Fällen im Rahmen des § 138 BGB angenommen wird.
Nicht zu beanstanden ist vor diesem Hintergrund auch, dass das Berufungsgericht § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB als Spezialregelung zu § 138 BGB angesehen hat, soweit es um die Wirksamkeit einer Wettbewerbsabrede in zeitlicher, örtlicher und gegenständlicher Hinsicht geht. Die Nichtigkeit der Wettbewerbsabrede nach § 138 BGB hat es rechtsfehlerfrei verneint, weil Umstände, die über die genannten Aspekte hinausgingen und die geeignet sein könnten, ein Sittenwidrigkeitsurteil zu tragen, nicht festgestellt sind. Die Revision zeigt insoweit keinen übergangenen Vortrag auf.
Ebenso wenig nötigt die HandelsvertreterRichtlinie zu einer anderen Bewertung. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass Art.20 HVRL insoweit keine für die Handelsvertreterin günstigere Auslegung von § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB gebietet.
Da Versicherungsvertreter von der Handelsvertreterrichtlinie nicht erfasst werden (vgl. Art. 1 Abs. 2 HVRL), ergibt sich die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung nicht aus dem Europarecht selbst. Eine richtlinienkonforme Auslegung von § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB ist jedoch wegen des Gebots der einheitlichen Auslegung des nationalen Rechts erforderlich. § 90a HGB dient der Umsetzung von Art.20 HVRL17. Der deutsche Gesetzgeber stellt gemäß § 92 Abs. 2 HGB die Versicherungsvertreter den Handelsvertretern gleich. Eine gespaltene Auslegung des § 90a HGB je nachdem, ob er direkt oder kraft des Verweises des § 92 Abs. 2 HGB Anwendung findet, kommt nicht in Betracht. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber Handelsvertreter und Versicherungsvertreter hinsichtlich der nachvertraglichen Wettbewerbsabreden unterschiedlich behandeln wollte18.
Erfasst die Richtlinie Wettbewerbsabreden, die nach der Beendigung des Handelsvertretervertrags getroffen werden, hätte das keine Abweichung vom Auslegungsergebnis des Bundesgerichtshofs zur Folge. In zeitlicher Hinsicht ist die Wettbewerbsabrede nach Art.20 Abs. 3 HVRL längstens zwei Jahre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses wirksam (englische Fassung: „… shall be valid for not more then two years …“; französische Fassung: „… n´est valable que pour une période maximale de deux ans …“). Das belegt eindeutig, dass ein Wettbewerbsverbot, das länger als zwei Jahre gelten soll, nicht entfällt, sondern auf zwei Jahre reduziert wird. Ebenso ist nach Art.20 Abs. 2 Buchstabe b HVRL eine Wettbewerbsabrede nur gültig, wenn und soweit sie sich auf den dem Handelsvertreter zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis sowie auf die Warengattungen erstreckt, die gemäß dem Vertrag Gegenstand seiner Vertretung sind. Aus dem „soweit“ (englische Fassung: „… valid only if and to the extent that …“; französische Fassung: „… n´est valable que si et dans la mesure où …“) folgt klar, dass die Unwirksamkeit der Wettbewerbsabrede nur in dem Umfang eintritt, in dem die Vorgaben der Regelung – der diejenigen des § 90a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HGB entsprechen – überschritten werden.
Nichts anderes gälte, sollte, wie die Revision der Versicherungsgesellschaftn meint, Art.20 HVRL auf nach Vertragsbeendigung abgeschlossene Wettbewerbsabreden – auch in der hier vorliegenden Verknüpfung mit der vorherigen Vereinbarung des „Geschäftswertmodells“ – keine Anwendung finden. Denn dann bildete § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB in der Auslegung durch den Bundesgerichtshof eine nach Art.20 Abs. 4 HVRL zulässige weitere Beschränkung der Anwendbarkeit der Wettbewerbsabrede.
Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedarf es angesichts dieses eindeutigen Befundes nicht19.
Das Berufungsgericht hat das Wettbewerbsverbot zutreffend auf den nach § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB zulässigen Inhalt reduziert. Die Dauer des Wettbewerbsverbots war auf zwei Jahre zu beschränken, § 90a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 HGB. Das Wettbewerbsverbot erstreckte sich räumlich auf das Inland, weil die Handelsvertreterin nach der gelebten Vertragspraxis im gesamten Inland aktiv war, so dass dieses dem ihr zugewiesenen Bezirk (§ 90a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HGB) entspricht. Für das Ausland entfiel das Verbot dagegen vollständig, weil die Handelsvertreterin nicht außerhalb der Bundesrepublik tätig gewesen war. In gegenständlicher Hinsicht hat das Berufungsgericht festgestellt, dass sich die Handelsvertreterin für die Versicherungsgesellschaft um die Vermittlung und den Abschluss verschiedenartiger Versicherungsverträge, Fondsbeteiligungen und Verträge zur betrieblichen Altersvorsorge zu bemühen hatte. Es ist daher mit Recht davon ausgegangen, dass das Wettbewerbsverbot die Vermittlungs- und Beratungstätigkeit für Versicherungs- oder sonstige Finanzdienstleistungsunternehmen erfasst, mit Ausnahme der in der Wettbewerbsabrede gestatteten Geschäfte.
Der unterlassene Verzicht auf die unwirksame Wettbewerbsabrede
Die Versicherungsgesellschaft hat sich jedenfalls dadurch schadensersatzpflichtig gemacht, weil sie nicht – wie von der Handelsvertreterin vorprozessual gefordert – auf die Einhaltung der Wettbewerbsabrede verzichtet hat, soweit diese unwirksam war. Die außerprozessuale Geltendmachung unberechtigter Ansprüche oder nicht bestehender Rechte kann innerhalb einer Vertragsbeziehung eine Pflichtverletzung darstellen, die zu einem Schadensersatzanspruch führen kann. Eine Partei, die von ihrem Vertragspartner etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, oder ein Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB20. Einer solchen Rechtsanmaßung steht wertungsmäßig die Weigerung gleich, auf die Durchsetzung eines nicht bestehenden aber zwischen den Parteien streitigen Rechts zu verzichten. Vor diesem Hintergrund stellt das rechtswidrige Festhalten des anderen Teils an einem unwirksamen Wettbewerbsverbot eine Pflichtverletzung dar.
Die Versicherungsgesellschaft hat diese Pflichtverletzung zu vertreten, weil sie fahrlässig gehandelt hatte, § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie hat nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ihr fehlendes Verschulden darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Gläubiger eines Wettbewerbsverbots handelt, indem er auf dessen Einhaltung pocht, nicht fahrlässig, wenn er seinen Rechtsstandpunkt sorgfältig überprüft und dieser plausibel ist21. Das Berufungsgericht hat sich diesbezüglich den Erwägungen des Landgerichts angeschlossen und eine Entlastung der Versicherungsgesellschaftn im Hinblick auf das ausführliche Schreiben verneint, mit dem die Handelsvertreterin ihr Begehren, die Versicherungsgesellschaft möge auf die Durchführung des Wettbewerbsverbots verzichten, begründet hatte. Diese tatrichterliche Wertung, die von der Revision nicht angegriffen wird, ist revisionsrechtlich hinzunehmen. Auf dieser Grundlage konnte die Handelsvertreterin Schadensersatz für den wegen der Befolgung des unwirksamen Wettbewerbsverbots entgangenen Gewinn beanspruchen. Dessen abstrakte Berechnung (§ 252 Satz 2 BGB, § 287 ZPO) unter Heranziehung des Durchschnittsgewinns der letzten drei Jahre begegnet keinen Bedenken.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Oktober 2012 – VII ZR 56/11
- Abgrenzung von BGH, Urteil vom 05.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184 [↩]
- BGH, Urteil vom 14.04.2005 – VII ZR 56/04, NJW-RR 2005, 1040; Urteil vom 16.07.1998 – VII ZR 9/97, NJW 1998, 3488, 3489; Urteil vom 05.12.1995 – X ZR 14/93, NJW-RR 1996, 783, 787 jeweils m.w.N. [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.07.1998 – VII ZR 9/97, NJW 1998, 3488, 3489 [↩]
- BGH, Urteil vom 05.12.1995 – X ZR 14/93, NJW-RR 1996, 783, 787; Urteil vom 26.02.1992 – XII ZR 129/90, NJW 1992, 2283, 2285 [↩]
- vgl. Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 305 BGB Rn. 55; Pfeiffer in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., § 305 BGB Rn. 41 jeweils m.w.N. [↩]
- vgl. Brüggemann in Großkommentar HGB, 4. Aufl., § 92 Rn. 4; OLG Zweibrücken, NJW-RR 1996, 285 [↩]
- vgl. BT-Drucks. 1/3856, S. 37; BGH, Urteil vom 05.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184, 187 [↩]
- BGH, Urteil vom 05.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184, 187; bestätigt im Urteil vom 24.11.1969 VII ZR 146/67, BGHZ 53, 89, 90 und Urteil vom 30.12.1970 VII ZR 141/68, BGHZ 55, 124, 126; dem folgend etwa BFH, BFH/NV 2008, 1491, 1492; OLG Nürnberg, Urteil vom 26.01.2011 – 12 U 1503/10; Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 90a Rn. 11; Busche in Oetker, HGB, 2. Aufl., § 90a Rn. 15; MünchKomm-HGB/von Heuningen-Huene, 3. Aufl., § 90a Rn. 13; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 90a Rn. 6; Schröder in Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 4. Aufl., Bd. 1, Kap. X Rn. 67 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184, 188; Köhler in Festschrift für Rittner, S. 265, 266 Fn. 7 [↩]
- BGH, Urteil vom 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235, 239; Urteil vom 16.11.1972 – VII ZR 53/72, BGHZ 59, 387, 391; OLG München, BB 1963, 1194; Brüggemann in Großkommentar HGB, 3. Aufl., § 90a Anm. 2 mit § 74a Anm. 5; Sonnenschein in Heymann, HGB, § 90a Rn. 32 [↩]
- vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 90a Rn. 31; MünchKomm-HGB/von HeuningenHuene, 3. Aufl., § 90a Rn. 29; Busche in Oetker, HGB, 2. Aufl., § 90a Rn. 45; Schröder in Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 4. Aufl., Bd. 1, Kap. X Rn. 67; Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 90a Rn. 51 [↩]
- BGBl. I S.1910 [↩]
- BT-Drucks. 11/3077, S. 10 [↩]
- BezG Dresden, DB 1991, 1620; MünchKomm-HGB/von Hoyningen-Huene, 3. Aufl., Rn. 29, 69; Ruß in Glanegger u.a., HGB, 7. Aufl., § 90a Rn. 2; Thume in Röhricht/von Westphalen, HGB, 3. Aufl., HGB, § 90a Rn. 6; Keßler in NK/HGB, § 90a Rn.20; Busche in Oetker, HGB, 2. Aufl., § 90a Rn. 45; Löwisch in Ebenroth u.a., HGB, 2. Aufl., § 90a Rn.19; Genzow in Ensthaler, HGB, 7. Aufl., § 90a Rn.20; a.A. Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 90a Rn. 51; Schröder in Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 4. Aufl., Bd. 1, Kap. X Rn. 66 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2005 – II ZR 159/03, NJW 2005, 3061, 3062; Urteil vom 14.07.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089, 3090 jeweils m.w.N. [↩]
- BGH, Urteil vom 14.07.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089, 3090 m.w.N. [↩]
- BT-Drucks. 11/3077, S. 6, 10 [↩]
- vgl. BT-Drucks. 1/3856, S. 39 [↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 – Rs 283/81, Slg.1982, 3415, 3430 Rn. 16 – C.I.L.F.I.T. [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 Rn. 12; Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 Rn. 17 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 Rn. 13; Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 Rn.20 [↩]