Der Versicherungsvertreter – und die Rückstellung wegen Erfüllungsrückstand
Nach § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden.
Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist u.a. aber dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist1.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands zu bilden ist, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält. Ein Erfüllungsrückstand setzt hiernach voraus, dass der Steuerpflichtige zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist. Leistungen, die ohne Rechtspflicht erbracht werden, sind für die Bemessung der Rückstellung irrelevant2.
Eine gesetzliche Verpflichtung zur Kundenbetreuung für einen Versicherungsvertreter nach § 86 i.V.m. § 92 HGB besteht nicht3. Auch aus § 34d der Gewerbeordnung ergibt sich keine derartige Verpflichtung; die Vorschrift regelt eine berufsrechtliche Erlaubnispflicht und keine nachlaufende Betreuungspflicht4.
Nach diesen Grundsätzen kann eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand nicht gebildet werden, wenn der Versicherungsvertreter auch vertraglich nicht zur Nachbetreuung der von ihm vermittelten Lebensversicherungsverträge verpflichtet war.
Im Rahmen der Vertragsfreiheit können zwar vertragliche Zusatzpflichten eines Versicherungsvertreters vereinbart werden, so z.B. Pflichten zur allgemeinen Markt, Bestands- und Kundenpflege, genauso wie einem Versicherungsvertreter verbindliche Vorgaben für Kundenbesuche in bestimmten Zeitabständen gemacht werden können. Es bedarf dann einer entsprechenden inhaltlich eindeutigen Vereinbarung5.
Die Formulierung in den allgemeinen Vertragsbestimmungen „Um die bestehenden Versicherungen zu erhalten, pflegt der Vertreter im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Versicherungsnehmern, berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch. Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist und bleibt“, ist keine inhaltlich eindeutige Individualvereinbarung, aus der sich eine Betreuungspflicht ergibt. Sie ist zu allgemein gehalten, um daraus konkrete Verpflichtungen zu bestimmten Nachbetreuungsleistungen ableiten zu können. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856 deutet diese Vertragsklausel sogar eher darauf hin, die laufende Kontaktaufnahme solle dem Abschluss weiterer Verträge dienen. Die Formulierung „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ spricht zudem eindeutig gegen eine rechtliche Verpflichtung des Versicherungsvertreters zur Nachbetreuung.
Ob die Zentrale der Versicherung zur Nachbetreuung in der Lage ist oder nicht, kann offen bleiben. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist jedenfalls diese zur Betreuung der Versicherungsnehmer verpflichtet und hat dies vorliegend vertraglich nicht auf den Versicherungsvertreter übertragen. Dass sich eine Weigerung des Versicherungsvertreters, die Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss weiter zu beraten, nicht günstig auf seine Geschäftsbeziehungen sowohl zur Versicherung als auch zum Versicherungsnehmer auswirken würde, steht außer Frage. Dennoch ist die Nachbetreuung der Versicherungsverträge höchstens eine Obliegenheit im eigenen Interesse des Versicherungsvertreters, jedoch keine Rechtspflicht. Eine Weigerung des Versicherungsvertreters, Versicherungsnehmer zu Altverträgen zu beraten, berechtigt die Versicherung nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht zur Kündigung.
Ergänzend weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass eine Rückstellung für einen Erfüllungsrückstand hinsichtlich des vom Vorgänger übernommenen Versicherungsbestands nur dann gebildet werden kann, wenn die rechtliche Verpflichtung zur Pflege dieses Bestandes auf ihn übergegangen und wirtschaftlich noch nicht vollständig erfüllt worden ist6.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. Juni 2015 – X R 27/13
- vgl. BFH, Beschluss vom 23.06.1997 – GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N. [↩]
- BFH, Urteil vom 27.02.2014 – III R 14/11, BFHE 246, 45, BStBl II 2014, 675, m.w.N. [↩]
- BFH, Urteil in BFHE 246, 45, BStBl II 2014, 675 [↩]
- BFH, Urteil vom 16.09.2014 – X R 38/13, BFH/NV 2015, 195 [↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2010, 860 [↩]
- BFH, Urteil vom 19.07.2011 – X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032 [↩]