Zwangspfand für Fruchtnektare mit Aromazusatz
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 VerpackV sind Vertreiber von Getränken in Einweggetränkeverpackungen mit einem Füllvolumen von 0,1 Liter bis 3 Liter verpflichtet, von ihrem Abnehmer ein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung zu erheben. Außerdem haben sie diese Getränke vor dem Inverkehrbringen deutlich lesbar und an gut sichtbarer Stelle als pfandpflichtig zu bezeichnen (§ 9 Abs. 1 Satz 4 VerpackV).
Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 finden diese Verpflichtungen Anwendung auf Einweggetränkeverpackungen, die Erfrischungsgetränke mit oder ohne Kohlensäure1 enthalten. Keine Erfrischungsgetränke im Sinne von Satz 1 sind unter anderem Fruchtsäfte und Fruchtnektare.
Gemäß § 3 Abs. 1 Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung (FrSaftErfrischGetrV) sind für die in der Anlage 1 zu dieser Verordnung aufgeführten Erzeugnisse die dort in Spalte 1 genannten Bezeichnungen Verkehrsbezeichnungen im Sinne der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FrSaftErfrischGetrV sind die in Anlage 1 vorgeschriebenen Bezeichnungen den dort in Spalte 1 genannten Erzeugnissen vorbehalten. In der insoweit in Bezug genommenen Anlage 1 sind für „Fruchtsaft“ und „Fruchtnektar“ bestimmte „Herstellungsanforderungen“ bestimmt. Diese Anforderungen erfüllt ein Produkt unstreitig nicht, dem zu einem sehr geringen Teil natürliches Aroma zugesetzt ist. Es ist also lebensmittelkennzeichnungsrechtlich weder ein „Fruchtsaft“ noch ein „Fruchtnektar“.
Für die Auslegung der Pfandpflicht gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 VerpackV ist nicht die lebensmittelrechtliche Begrifflichkeit aus der FrSaftErfrischGetrV maßgebend, diese Norm muss vielmehr abfallwirtschaftlich interpretiert werden. Es ist dabei von der Begründung des historischen Gesetzgebers und dem sich daraus ergebenden Sinn und Zweck der Bestimmung auszugehen, wobei einer autonom abfallwirtschaftlicher Interpretation von § 9 VerpackV weder der Gesetzeswortlaut noch die gesetzliche Systematik entgegenstehen.
Hiergegen kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht geltend gemacht werden, die vom Berufungsgericht herangezogene Ansicht des Verordnungsgebers, wonach für die Auslegung zwar grundsätzlich auf das Lebensmittelrecht zurückgegriffen werden könne, aber die Begriffe nach Sinn und Zweck der abfallwirtschaftlichen Zielsetzung auszulegen seien, um abfallwirtschaftlich unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden2, habe in § 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV keinen hinreichenden Niederschlag gefunden und könne deshalb nach den Grundsätzen der BGH-Entscheidung „Alles kann besser werden“3 für die Auslegung nicht maßgeblich sein.
Anders als in der BGHEntscheidung „Alles kann besser werden“ geht es im Streitfall nicht um die Berücksichtigung von bloßen Motiven und Vorstellungen von am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Orangen oder einzelner ihrer Mitglieder. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr auf den vom Verordnungsgeber in der Begründung der Verordnung ausdrücklich formulierten Sinn und Zweck der Dritten Verordnung zur Verpackungsverordnung gestützt. Es entspricht den anerkannten juristischen Auslegungsgrundsätzen, den Sinn und Zweck eines Gesetzes im materiellen Sinne im Wege der historischen und der vom Willen des Gesetzgebers ebenfalls beeinflussten teleologischen Auslegung zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, wenn der ausdrücklich formulierte Wille des Verordnungsgebers – wie im Streitfall – auch mit der systematischen Auslegung im Einklang steht. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend berücksichtigt, dass es bei der Verpackungsverordnung um Abfall- und Entsorgungsrecht geht, während die Begrifflichkeit „Fruchtsaft, Fruchtnektar“ aus dem Lebensmittelkennzeichnungsrecht stammt; und vom Gesetzgeber auch nur insoweit als maßgebende Legaldefinition festgelegt wurde (vgl. § 3 Abs. 1 FrSaftErfrischGetrV: „… Verkehrsbezeichnungen im Sinne der LebensmittelKennzeichnungsverordnung“).
Dieser Auslegung steht auch nicht der Wortlaut von § 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV entgegen. Der Pfandpflicht unterfallen gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 VerpackV „Erfrischungsgetränke“. Diese Getränkegattung ist nicht positiv abschließend definiert und lässt hinreichend Raum für die vom Berufungsgericht vorgenommene historische, teleologische und systematische Auslegung.
Die Berücksichtigung der Getränkeart durch den Verordnungsgeber beruht auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, mithin auf einem Prinzip von Verfassungsrang. Es liegt auf der Hand, dass sich aus der an die Getränkeart anknüpfenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ein rechtfertigender Grund für die Ungleichbehandlung gleicher Verpackungsarten (hier: Einwegflasche)) ergibt. Der Gesetzgeber hat die Pfandpflicht ausdrücklich auf die Getränke beschränken wollen, in denen eine Abwägung des ökologischen Nutzens des Pflichtpfands einerseits mit dem ökonomischen Aufwand eines Rücknahme- und Pfandsystems andererseits die Einrichtung eines solchen der Produktverantwortung dienenden Systems rechtfertigt. Als Grundlage dieser Abwägung hat er maßgeblich auf ein ausreichend großes Marktvolumen der Getränkeart abgestellt4.
Die abweichende, vereinzelt gebliebene und nicht näher begründete Meinung von Fischer/Arndt5 rechtfertigt kein anderes Auslegungsergebnis.
- insbesondere Limonaden einschließlich ColaGetränke, Brausen, Bittergetränke und Eistee [↩]
- vgl. die Gesetzesbegründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung vom 13.01.2005, BT-Drs.-. 15/4642, Seite 11 [↩]
- Beschluss vom 19.04.2012 – I ZB 80/11, GRUR 2012, 1026 Rn. 30 [↩]
- vgl. BT-Drs.-. 15/4642, Seite 13 [↩]
- Verpackungsverordnung, 2. Aufl., § 8 Rn. 97 [↩]