Der Provisionsanspruch der Bezirksvertreter
Die gesetzlichen Regelungen über die Bezirksprovision sind in den allgemeinen Grenzen dispositiv. Aus Art. 7 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter1 ergibt sich nichts Gegenteiliges.
Es entspricht ganz überwiegender, mit den Gesetzesmaterialien2 in Einklang stehender Meinung, dass die gesetzlichen Regelungen über die Bezirksprovision in den allgemeinen Grenzen dispositiv sind3, und dass jedenfalls durch Individualvereinbarung bezüglich der Bezirksprovision von § 87 Abs. 2 HGB Abweichendes vereinbart werden kann4.
Aus Art. 7 Abs. 2 erster Gedankenstrich der – Warenvertreter betreffenden und deshalb im Streitfall nicht unmittelbar einschlägigen – Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter5 ergibt sich nichts Gegenteiliges6. Angesichts der Entstehungsgeschichte dieser Richtlinie besteht keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel7, dass Art. 7 Abs. 2 erster Gedankenstrich Vereinbarungen der Parteien des Handelsvertretervertrags nicht hindert, die von der in der genannten Richtlinienbestimmung vorgesehenen Provisionsregelung bezüglich der Provision des Bezirksvertreters abweichen. Im Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedstaaten die (selbständigen) Handelsvertreter betreffend, ABl. EG Nr. C 13/2 vom 18.01.1977, ist die betreffende Regelung, soweit sie für den Handelsvertreter vorteilhaft ist, zwingend ausgestaltet. Nach Art. 35 Abs. 1 des genannten Vorschlags ist eine Vertragsbestimmung nichtig, mit der die Parteien zum Nachteil des Handelsvertreters unter anderem von Art. 12 Abs. 1 abweichen. Die Endfassung der Richtlinie 86/653/EWG enthält eine Art. 35 Abs. 1 des Vorschlags entsprechende Bestimmung nicht. Vielmehr ist nur in einzelnen Bestimmungen der Endfassung der Richtlinie 86/653/EWG (vgl. Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 3, Art. 12 Abs. 3, Art.19) statuiert, dass von bestimmten Artikeln nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden kann. Art. 7 der Richtlinie 86/653/EWG enthält eine solche Regelung gerade nicht. Dem Urteil des Gerichtshofs vom 12.12 1996 C104/95, Slg. 1996 I6643 (Kontogeorgas) ist nichts Abweichendes zu entnehmen. Nach diesem Urteil ist Art. 7 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653/EWG dahin auszulegen, dass ein Handelsvertreter, dem ein Bezirk zugewiesen ist, Anspruch auf Provision auch für die Geschäfte hat, die ohne seine Mitwirkung mit Kunden abgeschlossen wurden, die diesem Bezirk angehören. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien eine Bezirksprovision nicht ausdrücklich ausgeschlossen oder eingeschränkt, sondern insoweit keinerlei Regelung getroffen8. Im Übrigen sehen die gesetzli-chen Regelungen zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG in Österreich (Art. 8 Abs. 4 österreichisches Handelsvertretergesetz) und Italien (Art. 1748 Abs. 2 Codice Civile) ausdrücklich vor, dass Vereinbarungen der Parteien zulässig sind, die von der in Art. 7 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653/EWG vorgesehenen Provisionsregelung bezüglich der Provision des Bezirksvertreters abweichen9.
Vor diesem Hintergrund hält der Bundesgerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 7 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653/EWG im Streitfall nicht für veranlasst.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. April 2014 – VII ZR 163/13
- ABl. EG Nr. L 382 S. 17 [↩]
- vgl. BT-Drs. 1/3856 S. 23 [↩]
- vgl. MünchKomm-HGB/von Hoyningen-Huene, 3. Aufl., § 87 Rn. 99; Fröhlich in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, § 87 HGB Rn. 102; Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 87 HGB Rn. 13 f.; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 87 Rn. 48; a.M. Schmidt, ZHR 156 (1992), 512, 519; zweifelnd Roth in Koller/Roth/Morck, HGB, 7. Aufl., § 87 Rn. 3 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.06.1978 – I ZR 136/76, WM 1978, 982, 983 [↩]
- ABl. EG Nr. L 382 S. 17 [↩]
- a.M.Schmidt, ZHR 156 (1992), 512, 517 ff.; zweifelnd Roth in Koller/Roth/Morck, HGB, 7. Aufl., § 87 Rn. 3 [↩]
- vgl. EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 – C.I.L.F.I.T. [↩]
- vgl. von Hase, BuW 2003, 685, 689 [↩]
- vgl. von Hase, BuW 2003, 685, 689 [↩]




